in fußballland : CHRISTOPH BIERMANN über den Fluch der Schwalbe
Being Bernd Hölzenbein
Es ist nicht einfach, sich vorzustellen, wie schwer es ist, den ganzen Tag Bernd Hölzenbein zu sein. Man wacht morgens auf und ist Bernd Hölzenbein, beim Frühstück kommt man so wenig um den Umstand herum, Bernd Hölzenbein zu sein, wie später beim Einkaufen oder auf dem Golfplatz. Und ist abends wieder ein ganzer Tag als Bernd Hölzenbein vorüber, droht für den nächsten das Gleiche.
Nun mag man sich fragen, was denn daran so schlimm sein soll, Bernd Hölzenbein zu sein, wo es einen noch viel übler erwischen könnte. Nicht auszudenken, als Paul Breitner aller Welt stets ihre Unfähigkeit vorhalten oder als Udo Lattek den Großtrainerdarsteller geben zu müssen. Doch anders als bei denen, sieht man Bernd Hölzenbein auf den ersten Blick an, wie schwer er an der Bürde trägt, Bernd Hölzenbein zu sein. Das mag auch daran liegen, dass er seit seiner Zeit als Manager in Frankfurt so recht keinen Job mehr in der Fußballbranche gefunden hat. Unangenehme juristische Folgen hatte sein Engagement bei der Eintracht, über die hier der Mantel des Schweigens ausgebreitet werden soll, wiegt schwerer doch seine Verurteilung zu lebenslänglich.
Kürzlich war Bernd Hölzenbein in Köln, und alles deutete darauf hin, dass es ein unverfänglich heiterer Abend werden würde. Das Organisationskomitee für die WM 2006 eröffnete seine Tour durch die Spielorte in einem hübschen Theater am Rhein. Das Essen und die Getränke waren frei und die Stimmung entspannt. Präsentiert wurden die WM-Botschafter der Städte, wo in drei Jahren gespielt wird. Was sie machen sollen, wurde zwar nicht klar, aber Franz Beckenbauer bat unter launigen Worten jeden von ihnen einzeln auf die Bühne. „Lieber Bernd“, sagte der Franz, als Frankfurts Botschafter Bernd Hölzenbein an der Reihe war, „du hast damals, als wir die beste Mannschaft in Europa hatten, im Halbfinale des DFB-Pokal gegen uns zwei Elfmeter rausgeschunden und wir haben verloren. Aber das hast du anschließend im Sommer wieder gutgemacht, als du dich noch einmal hast fallen lassen …“ Da wurde herzlich gelacht, denn viele hatten diese Partie zwischen der Eintracht und den Bayern, aber niemand die 26. Minute des WM-Endspiels von 1974 im Münchner Olympiastadion zwischen Deutschland und Holland vergessen.
0:1 stand es, als Bernd Hölzenbein über die linke Seite in den niederländischen Strafraum lief und über die Beine von Wim Jansen stürzte. Stolperte? Zur Schwalbe abhob? Oder doch: gefoult wurde? Schiedsrichter Jack Taylor, der Metzger aus Wolverhampton, sah es jedenfalls so, entschied auf Elfmeter, den Paul Breitner zum Ausgleich verwandelte, bevor Gerd Müller den Siegtreffer erzielte.Bernd Hölzenbein ist seitdem nicht nur in Holland unvergessen.
Als er die launige Begrüßung gehört hatte, kam er schmollend auf die Bühne, und da wurde jedem klar, warum es so schwer ist, Bernd Hölzenbein zu sein. „Wenn dieser Elfmeter als Einziges von mir in Erinnerung geblieben ist, dann ist das schade. Ich finde, man sollte das Thema beenden“, sagte Bernd Hölzenbein, und da gab es keinen Millimeter Platz für Ironie, selbst Franz Beckenbauer schaute für einen Moment fassungslos drein. Schließlich, sagte Bernd Hölzenbein jammernd, hätte er 420 Bundesligaspiele gemacht und dabei 160 Tore für die Eintracht geschossen. Das solle man nicht vergessen. Da nahm mich ein Kollege aus Frankfurt zur Seite, der mit Bernd Hölzenbein zusammen Fußball spielt, und sagte, dass der arme Mann seine Mitspieler daran fast jede Woche erinnern würde. Denn Bernd Hölzenbein lebt unter dem Fluch der Schwalbe, die sein Leben seit 29 Jahren zur Hölle gemacht hat. Ein freier Mann ist der 57-Jährige nie mehr geworden. „Ich möchte irgendwann auch mal wieder nach Holland fahren können“, stieß er oben auf der Bühne seinen Klageruf aus.
Doch es kam Absolution, als später am Abend Bernd Hölzenbein und Olaf Thon an der Pissrinne zusammentrafen. Wie sie sich da so gemeinsam erleichterten, schaute der Schalker zum Frankfurter und sagte vergnügt: „Du Bernd, ich glaube, den Elfer kann man geben.“
Fotohinweis: Christoph Biermann (42) liebt Fußball und schreibt darüber